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Original Fahrbericht von 1957

des Models Lincoln "Premiere" Two Door Hardtop Coupe 1957

Auszug aus dem Magazin: HOBBY - Das Magazin der Technik


300 PS im kleinen Finger

Traumreise in einem Traumwagen – "Schlachtschiff" unter den "Straßenkreuzern" – Technisches Märchen für 5000 Dollar
Von Günther Gebhardt

Die einzige Anstrengung bei diesem Wagen ist Ihre Unterschrift auf dem Zahlungsscheck, alles andere tut dann das Auto für Sie!"
An diesen Slogan eines amerikanischen Autoverkäufers musste ich denken, als ich den Lincoln Premiere 57 im Kölner Ford-Werk in Empfang nahm. Selbst einem abgebrühten Autotester verschlägt es schon etwas den Atem, wenn er diesem größten Nachkommen der alten, ebenso klapperigen wie unverwüstlichen Ford-Lizzy gegenüber steht. Es ist schon ein Unterschied, ob man dieses "Schlachtschiff" unter den "Straßenkreuzern" par distance im Schaufenster oder in den Ausstellungshallen bewundert, oder ob man den Giganten der Landstraße selbst durch die Gegend schaukeln darf. Man hat sich natürlich vorher längst an Hand von Prospekten die Zahlen der gewaltigen Ausmaße dieses "Stars" unter den amerikanischen Spitzenprodukten eingeprägt und sich eines leichten Schwindelgefühls bei den ca. 12 qm, die dieses Auto bedeckt (6 m Länge und über 2 m Breite), nicht erwehren können.
Nun, schon der erste Eindruck mildert diese Befürchtungen schnell. Die vornehme und elegante Linienführung nimmt dem Giganten schon äußerlich alles Monströse. Sie ist einfach und harmonisch und gibt selbst diesem Riesen eine durchaus sportliche Note. Ebenso schnell schwindet die Verwirrung, die man anfangs empfunden hat beim Gedanken an die 20 Motoren und Motörchen, die das Auto zu einem fast vollkommenen "Auto-Roboter" machen. Man hat sich vorgestellt, dass man so zu sagen zur Beherrschung der Klaviatur der unzähligen Knöpfe und Knöpfchen quasi erst Fingerübungen nach einer Spezial-partitur erlernen müsse, denn nichts an diesem Auto bewegt sich durch menschliche Kraft. Die vollendete Mechanik dieses vollautomatischen Autos kann man in allen Phasen buchstäblich mit dem kleinen Finger betätigen. Es wäre ein vermessenes Unterfangen, bei diesem Spitzenprodukt automobiltechnischer Entwicklung noch einen Test mit pro und contra schreiben zu wollen.
Es gibt, von ganz lächerlichen Kleinigkeiten abgesehen, gegen diesen Wagen kaum etwas Negatives zu sagen. Natürlich, so werden Sie sagen, beim Preis dieses Luxuskreuzers ist das kein Kunststück. Nun, gegen diese Ansicht gibt es zweierlei zu sagen:
1. ist der Preis bei manchen Autos nicht unbedingt auch die Garantie für technische, vor allem fahrtechnische Voll-kommenheit, und
2. ist der Preis von ca. 5000 $ für dieses bis ins kleinste Detail mit allen Schikanen ausgestattete Fahrzeug gar nicht einmal so hoch. Man darf hier nicht einfach den offiziellen Umrechnungskurs von Dollar zu D-Mark als Grundlagen nehmen, sondern muss den Preis dieses Wagens in einer Relation zum Einkommen des Durchschnitts-Amerikaners sehen, dann dürfte der Lincoln Premiere – obwohl ein Fahrzeug der ausgesprochenen Luxusklasse – durchaus im Bereich der europäischen Spitzenwagen liegen.
Wie gesagt, die anfangs verwirrende Klaviatur hat man schnell "im kleinen Finger". Sie dient letztlich ja nur der Bequemlichkeit, zum Fahren selbst braucht man buchstäblich nur Lenkrad, Bremse und Gaspedal.

Das Bremspedal ist übrigens tief nach unten gezogen und eigentlich kein Pedal mehr, sondern ein kleines Trittbrett an zwei Armen. Man kann es wahlweise mit dem "Gasfuß" oder mit dem ohnedies zur Untätigkeit verurteilten linken Fuß betätigen. Daß der Lincoln Premiere ein vollautomatisches Getriebe hat, ist selbstverständlich. Aber wie dieses Getriebe sich im praktischen Fahrverkehr auswirkt, ist schon imponierend. Der "Straßenelefant" hat tatsächlich das Herz und die Geschmeidigkeit eines Panthers. Das Fahrzeug, das immerhin ein Fahrgewicht von über 2 Tonnen auf die Straße legt, weist folgende Be-schleunigungszeiten auf:
0 – 80 km/h 9,2 Sek.
0 – 100 km/h 11,1 Sek.
20 – 120 km/h 12,1 Sek.
40 – 140 km/h ca. 11 Sek.

Dabei spürt man nur bei volldurchgedrücktem Gaspedal das Einspringen der einzelnen Gänge, im normalen Fahrbetrieb geschieht der automatischen Gangwechsel ohne den geringsten spürbaren Übergang. Natürlich besitzt auch dieser Wagen eine sog. Lo-Schaltung für außergewöhnlich steile Bergstrecken bzw. zur Bremsung bei Steilabfahrten. Diese Schaltung hat allerdings mehr theoretische Bedeutung. Im praktischen Fahrbetrieb braucht man sie kaum, es sei denn, man bleibt einmal im tiefen Schnee stecken oder muß auf steilen Bergen anfahren. Hier ist die Beschleunigung natürlich noch imponierender. In der Lo-Stellung brachten wir den Wagen von 0 auf 80 in sage und schreibe knapp 7 Sekunden! Die 2 Tonnen des Lincoln Premiere sind aber nicht nur mühelos zu beschleunigen, sondern ebenso mühelos wieder zum Stehen zu bringen. Auch hier nimmt die Servo-Bremse dem Fahrer die Arbeit ab. Es bedarf tatsächlich nur einer sanften Bewegung der Fußspitze, um den Koloß weich und ohne Mühe auf kürzester Strecke zum Stillstand zu bringen.

"Ich hab´ mich so an Dich gewöhnt…."
Sicher ging es Ihnen, lieber Leser, auch oft so wie dem Tester, daß er manchmal kopfschüttelnd den Mut oder – unfreundlich ausgedrückt – die Frechheit zartgliedriger Herrenfahrerinnen bewunderte, die mit frappierender Sicherheit solche und ähnliche Straßenkreuzer durch den Großstadtverkehr schleusen. Nun, ich muss gestehen, nach wenigen 100 m hatte ich gar nicht mehr das Gefühl, in einem außergewöhnlich großen Auto zu sitzen. Schuld daran ist in erster Linie die geradezu kinderleichte Servo-Lenkung, die jeglichen, aber auch geringsten Kraftaufwand beim Steuern überflüssig macht. Schuld daran ist aber auch die hervorragende Rundsicht, die man durch eine weit nach hinten gezogene Panoramascheibe und die praktisch ungehinderte Sicht nach allen Seiten besitzt. Auch das Rangieren auf engstem Parkplatz ist bei weitem kein solches Abenteuer, wie man es im ersten Augenblick erwartete. Der große Wagen hat einen Wendekreis, der um nichts größer ist als bei unseren gewohnten Autos.
Ehrlich überrascht war ich aber von den Fahreigenschaften des Lincoln Pre-miere. Selbst in engen und engsten Kurven, selbst als wir ihn mit hoher Ge-schwindigkeit auf einer Sandbahnstrecke an die "Kandare" nahmen, daß Ca-racciola seine Freude daran gehabt hätte, spürten wir nichts von der gewalti-gen Zentrifugalkraft des beachtlichen Gewichts, nicht das gefürchtete "In-die-Knie-Gehen" und nicht das ebenso gefährliche Zurückschwingen der Karosse-rie am Kurvenausgang.

"Man müßte Klavier spielen können…"
Der Clou dieses Wagens sind aber seine Details!
Da kann man z. B. vom Fahrersitz aus sämtliche Fenster (auch die kleinen Belüftungsfensterchen) elektrisch öffnen und schließen, darüber hinaus aber ist noch von jedem Sitz einzeln das jeweilige Fenster elektrisch zu betätigen. Da kann man während der Fahrt über ein sinnreiches Knopfsystem die Vordersitzbank in sechs verschiedene Richtungen verändern: heben, senken, vor, zurück, neigen nach vorn, neigen nach hinten. Alles vollführen die Heinzelmännchen-Motoren dieses raffinierten Autos! Daß die Antenne automatisch ein- und ausgefahren wird, wagt man schon gar nicht mehr als Besonderheit anzusehen. Das serienmäßige Lincoln-Radio allein ist schon ein kleines Wunder der Raffinesse. Über einen Drehknopf kann man die Raumakustik durch einen vorderen und hinteren Lautsprecher wahlweise verändern, und die Stationssuche liegt ausnahmsweise nicht im kleinen Finger, sondern sozusagen "im kleinen Zeh"; ein Fußknopf nämlich betätigt den automatischen Stationswähler. Aber damit noch nicht genug, ist auch dieser nochmals besonders d-rigierbar, für die Nah-Zone "City" und für weiterliegende Sender durch den Knopf "Country". Das muss selbst den verwöhntesten Ansprüchen Marilyn Monroes genügen! Ein komplettes "Klima-Laboratorium" sind Heizung und Lüftung. Hier werden Umluftzirkulation, Temperatur, Defroster vorn und hinten nach allen Richtungen geregelt, so daß die Innentemperatur immer angenehm bleibt, gleichgül-tig, ob man nun zum Nordpol oder zum Äquator fährt. Fürwahr, das Optimum einer Klima-Anlage!
Aber nicht nur der Bequemlichkeit und dem Luxus dienen die technischen Raf-finessen dieses Super-Autos, sondern auch der Sicherheit nach innen und außen. Die butterweiche Polsterung des Armaturenbretts ist wirklich nicht nur Sicherheits-Staffage wie bei vielen anderen Autos. Hier kann man schon mal dagegenbumsen, ohne den geringsten Schaden zu nehmen. Da ist ein Warnlämpchen, was aufleuchtet, wenn die Türen nicht vorschriftsmäßig geschlossen sind, da ist aber auch ein Hebelchen, dessen druck genügt, sämtliche Tü-ren automatisch zu verriegeln; da ist ferner ein Warnlicht, daß bei angezoge-ner Handbremse so lange aufleuchtet, bis diese gelöst ist; da ist ein Warnlicht, das erst erlischt, wenn die durch einen Knopf betätigende Zentralverriegelung auch einwandfrei alle zu schmierenden Teile erreicht hat. Da ist ferner eine elektrische Uhr, die man nicht nur nicht aufziehen braucht, sondern die man durch Vor- oder Rückstellen der Zeiger in ihrer Laufschnelligkeit regulieren kann. Da ist ein etwas utopisch anmutender Chromgriff, mit dem man während der Fahrt den überdimensionalen Außenspiegel nach allen Richtungen verstellen kann; da ist vor allem eine automatischen Abblendeinrichtung, die bei Nacht bei entgegenkommenden Fahrzeugen das eigene Fernlicht aus- und nach passieren wieder einschaltet. Angesichts so vieler Schikanen erscheinen die Beleuchtung von Koffer- und Motorraum, die Zigaretten-Anzünder im Aschenbecher jedes Einzelsitzes schon als Nichtigkeiten.
A propos Kofferraum…,der Ausdruck ist hier gar nicht mehr am rechten Platze. Man müßte schon fast "Abstellspeicher" sagen, denn seine Länge von 1,85 m und seine Breite von 1,62 m bei 53 cm Höhe lassen diesen Vergleich durchaus zu. Man könnte bequem darin übernachten.
Beim Blick unter die Motorhaube aber muss jedem Motorfachmann das Herz höher schlagen. Die soeben aufgeführten Beschleunigungsziffern sagen genug darüber aus, was die Maschine zu leisten imstande ist. Wir konnten die volle Spitze auf unseren Straßen gar nicht ausfahren. Aber 180 – 190 km/h schaffte er leicht, wobei allerdings ein geringer Vorlauf des Tachometers berücksichtigt werden muß. Ich glaube aber den Prospekten durchaus, die dem Lincoln Premiere eine Spitze von über 200 km/h nachsagen. Einen Normverbrauch für die 6-Liter-8-Zylinder-Maschine zu bestimmen, ist praktisch unmöglich. Die Spanne, die durch die Fahrweise und beliebte Ausnutzung der 300 PS gegeben ist, dürfte von 15 bis 25 Liter auf 100 km reichen. Aber wer sich den Lincoln Premiere leisten kann, der wird es ja kaum nötig haben, am Benzin zu geizen. Der riesige Tank faßt übrigens 76 Liter, garantiert also selbst bei hohem Verbrauch eine beachtliche Reichweite.
Als ich nach Beendigung meiner Traumfahrt in dem Traumwagen Lincoln Premiere wieder in mein deutsches Normalverbraucherfahrzeug umstieg, brauchte ich noch eine ganze Weile, um mich wieder zu "akklimatisieren" oder besser gesagt, zu "deklimatisieren". Ich kam mir vor, als hätte ich eben ein automobilistisches Gala-Diner im Grand Hotel zum mir genommen und müsse nun wieder zur kräftigen, aber bescheidenen Hausmannskost umwechseln. Was auf die Dauer zuträglicher und amüsanter ist, wage ich nicht zu entscheiden.
reklame 1957 Lincoln Fahrbericht aus dem Technik-Magazin "Hobby" von 1957 (Bild anklicken für

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